Erbrecht

Anfechtung wegen Übergehens eines Pflichtteilsberechtigten führt zur Unwirksamkeit der gesamten Verfügung von Todes wegen

Das OLG Schleswig hat mit Beschluss vom 07.12.2015 - 3 Wx 108/15, für Recht erkannt:

Die nach § 2079 Satz 1 BGB wirksam erklärte Anfechtung hat grundsätzlich die Nichtigkeit der gesamten letztwilligen Verfügung zur Folge. Einzelne Verfügungen bleiben nur dann wirksam, wenn nach § 2079 Satz 2 BGB positiv feststellbar ist, dass sie der Erblasser so auch getroffen hätte, falls er zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung Kenntnis von dem weiteren Pflichtteilsberechtigten gehabt hätte.

Sachverhalt

Der Erblasser war mit der Beteiligten zu 1) verheiratet. Aus ihrer Ehe sind die Beteiligte zu 2) und der Beteiligte zu 3) als ihre einzigen Kinder hervorgegangen. Der Erblasser errichtete 2011 ein notariell beurkundetes Testament, in dem es u. a. heißt:

„... Ich setze meinen Sohn A [Beteiligter zu 2)] ... zu meinem alleinigen Erben ein. … Die Ehefrau soll nicht erben.

… Sollte mein Sohn zum Zeitpunkt meines Todes das 21. Lebensjahr noch nicht beendet haben, ordne ich für die Verwaltung Testamentsvollstreckung an. Zur Testamentsvollstreckerin benenne ich Frau X.“


Der Erblasser verstarb 2014. Frau X nahm das Amt als Testamentsvollstreckerin an und beantragte die Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses, das das Amtsgericht mit dem Vermerk erteilte, die Testamentsvollstreckung sei „befristet bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres des Erben A“.

Der Ergänzungspfleger des gut ein Jahr nach Testamentserrichtung geborenen Beteiligten zu 3) erklärte für diesen mit Schriftsatz vom 03.03.2015 die Anfechtung des Testaments unter Verweis auf §§ 2079 f. BGB. Er beantragte zudem die Erteilung eines Erbscheins, der den Beteiligten zu 2) als Erben zu ¾ und den Beteiligten zu 3) als Erben zu ¼ ausweisen sollte, wobei die Anordnung von Testamentsvollstreckung nur für den Erbteil des Beteiligten zu 2) bis zu dessen 21. Lebensjahr, hilfsweise entsprechend auch für den Erbteil des Beteiligen zu 3) aufgenommen werden sollte. In dem Antrag wird ausgeführt, dass die erklärte Anfechtung des Testaments nur insoweit zur Nichtigkeit desselben führe, als das gesetzliche Erbrecht des Beteiligten zu 3) beeinträchtigt sei.

Die Beteiligte zu 1) hat diesem Erbscheinsantrag widersprochen und ausgeführt, der das Testament beurkundende Notar habe bei einem Gespräch nach dem Erbfall sinngemäß bestätigt, dass der Erblasser in seinem Testament ihre Enterbung (nur) aus steuerlichen Gründen verfügt habe. Ihr sei an solcher Steuerersparnis aber nicht gelegen, sondern nur an der wirtschaftlichen Sicherung der Zukunft ihrer Kinder. Sie beantrage daher, sie selbst als Erbin zu ½ und ihre beiden Kinder als Erben zu je ¼ zu berufen. Die Testamentsvollstreckung sei entbehrlich.

Mit Beschluss vom 07.09.2015 hat das Amtsgericht - Nachlassgericht - Neumünster ausgesprochen, dass die aufgrund des Antrags des Beteiligten zu 3) zur Erteilung eines Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet würden. Mit weiterem Beschluss hat das AG das Testamentsvollstreckerzeugnis als unrichtig eingezogen.

Gegen den Beschluss betreffend den Erbschein hat die Beteiligte zu 1) Beschwerde eingelegt und in erster Linie einen Erbschein beantragt, wonach sie Erbin zu ½ und die beiden Kinder jeweils Erben zu ¼ seien, hilfsweise aber einen Erbschein, wonach die beiden Kinder Erben zu je ½ seien. Das AG hat der Beschwerde der Beteiligten zu 1) nicht abgeholfen.

Die Testamentsvollstreckerin X hat 2015 ihr Amt niedergelegt. Mit Beschluss vom 30.10.2015 hat das AG Herrn Z zum Testamentsvollstrecker ernannt. Mit Beschluss vom gleichen Tag hat es seinen Nichtabhilfebeschluss vom 13.10.2015 geändert und der Beschwerde der Beteiligten zu 1) insoweit abgeholfen, als dass lediglich die aufgrund des Hilfsantrags zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet würden (= Erben sind der Beteiligte zu 2) zu 3/4 und der Beteiligte zu 3) zu 1/4), Testamentsvollstreckung insgesamt jeweils bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres der beiden Erben.

Im vorliegenden Fall ist mithin wegen der wirksamen Anfechtung des Beteiligten zu 3) im Ausgangspunkt von einer Nichtigkeit des Testaments auszugehen. Dies gilt aber nach § § 2079 S. 2 BGB nicht für die Enterbung der Beteiligten zu 1), weil sich ein hypothetischer Wille des Erblassers ermitteln lässt, dass er die Enterbung der Beteiligten zu 1) auch dann verfügt hätte, wenn ihm im Testierzeitpunkt die Existenz eines weiteren Kindes bekannt gewesen wäre. Der Erblasser hat nämlich die Enterbung der Beteiligten zu 1) ausdrücklich verfügt, auch wenn dies angesichts der Einsetzung des Beteiligten zu 2) zum Alleinerben nicht notwendig gewesen wäre. Er hat die Enterbung in den vom Notar schon vorformulierten Text bei der Beurkundung noch handschriftlich aufnehmen lassen und dadurch deutlich gemacht, dass ihm dies wichtig war. Aus den Angaben aller Beteiligten und den sonstigen Umständen gibt es keinen Anhalt, warum sich die Situation für den Erblasser - und zwar für seine Entscheidung zur Enterbung seiner Frau - anders hätte darstellen sollen, wenn er damals schon gewusst hätte, dass noch ein zweites Kind geboren würde.

Dies gilt auch gerade für das - als solches durchaus plausible - Vorbringen der Beteiligten zu 1), der Erblasser habe mit den Verfügungen in seinem Testament die insbesondere auch für seine Ehefrau beste finanzielle Lösung treffen wollen und dabei überlegt, dass ihr durch steuerfreien Zugewinn und Pflichtteil mehr verbliebe, als bei Einsetzung als Erbin, wo nämlich der steuerfreie Zugewinn auf 1/4 der Erbmasse begrenzt wäre (§ 1371 Abs. 1 BGB). Dabei sei maßgeblich, dass er sein Vermögen größtenteils während der Ehe aufgebaut habe und deshalb ein erheblicher Zugewinnausgleichsanspruch der Beteiligten zu 1) - maximal 1/2 der Erbmasse - bestehe, während sich der Nachlass für seinen als Erbe berufenen Sohn um den Zugewinn und den Pflichtteil der Ehefrau verringere und dann für diesen unter Berücksichtigung des Freibetrages von 400.000 € keine oder nur geringe Erbschaftssteuer anfalle. Diese Überlegungen des Erblassers würden sich entgegen der Ansicht der Beteiligten zu 1) aber nicht ersichtlich und für seinen letzten Willen durchgreifend anders darstellen, wenn er die Existenz eines zweiten Kindes bedacht hätte. Die erbrechtlichen Ansprüche der Beteiligten zu 1) und ihr Anspruch auf Zugewinnausgleich ändern sich durch ein zweites Kind nicht, auch würden - erst Recht - für die Erben dann keine oder (bei weiterer Vermehrung des Vermögens bis zum Erbfall) nur geringe Steuern anfallen.

Die benannte Entscheidung zeigt wiederum eindringlich, dass neben dem Inhalt des Testaments auch die (nicht sehr hohen) Formanforderungen an ein Testament nach Maßgabe von § 2247 Abs. 1 BGB erfüllt sein müssen. Um dabei zu vermeiden, dass Gerichte sich später mit der Auslegung des Testaments zu befassen oder vorliegend eine Anfechtung greift, ist eine Rechtsberatung bzw. die individuelle und vorausschauende Gestaltung von Nachfolgeregelungen unvermeidlich.

Ihr Ansprechpartner in dieser Angelegenheit ist Rechtsanwalt Sebastian Obermeier.

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